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Titel
Digitale Spiele im Geschichtsunterricht.


Autor(en)
Buchsteiner, Martin; Jahnke, Patrick
Reihe
Geschichte unterrichten
Erschienen
Frankfurt am Main 2021: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
24 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Hellberg, Max-Planck-Gymnasium Lahr/Schwarzwald

Historisierende digitale Spiele fristen im Geschichtsunterricht noch immer ein Nischendasein. Im scharfen Kontrast hierzu sind Computer-, Konsolen-, Tablet- und Smartphonespiele längst fester Bestandteil des Medienalltags von Schülerinnen und Schülern.1

Erfreulicherweise widmet sich die geschichtswissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren vermehrt monografisch historisierenden digitalen Spielen.2 Die geschichtsdidaktische Auseinandersetzung mit Computerspielen reicht gar bis ins Jahr 2002 zurück, in welchem die erste deutschsprachige Monografie von Waldemar Grosch mit dem Titel Computerspiele im Geschichtsunterricht publiziert wurde. Daniel Milch hat jüngst maßgeblich dazu beigetragen, die Repräsentation und Verarbeitung von Geschichte in digitalen Spielen didaktisch zu modellieren und durch seine Arbeiten die geschichtsdidaktische Computerspielforschung an die empirische Didaktik sowie an die Medienwirkungsforschung anzubinden.3

Trotz dieses regen Interesses werden historisierende digitale Spiele in der Regel weder in den Bildungsplänen des Fachs Geschichte für weiterführende Schulen noch im Leitmedium des Geschichtsunterrichts, dem Geschichtsschulbuch, explizit erwähnt.4 Weiterhin werden historisierende digitale Spiele als geschichtskulturelle Zeugnisse kulturpessimistisch beäugt und ihnen durch Nichtbeachtung in den allermeisten Bildungsplänen die unterrichtliche Legitimation abgesprochen.

Umso mehr ist zu begrüßen, dass der Wochenschau Verlag in seiner Reihe „Geschichtsunterricht praktisch“ einen schmalen, aber gehaltvollen Band mit dem Titel Digitale Spiele im Geschichtsunterricht veröffentlicht hat. Die beiden Autoren Martin Buchsteiner und Patrick Jahnke versammeln in nur 24 Druckseiten eine Vielzahl von Materialien zu einem geschichtsunterrichtlich noch wenig erschlossenen Themenfeld.5 Adressiert werden in erster Linie Geschichtslehrerinnen und -lehrer.

Der zweiseitigen Einleitung, in welcher die Autoren die Zielsetzung sowie ihre methodisch-didaktischen Überlegungen zum Medium digitales Spiel knapp voranstellen, schließen sich Arbeitsblätter mit Materialien dazu an. Die Arbeitsaufträge sind konsequent operationalisiert und berücksichtigen dabei alle drei Anforderungsbereiche für das Stellen wirksamer Aufgabenkulturen im (Geschichts-)Unterricht. Ein Raster zur Analyse von Games im Geschichtsunterricht, ein Vorschlag für eine Leistungsmessung sowie ein Auswahlliteraturverzeichnis zum Weiterlesen beschließen den Band. Musterlösungen oder Erwartungshorizonte zu den Aufgabenstellungen sind bis auf einen äußerst knappen ausformulierten Erwartungshorizont zur Leistungsmessung (S. 23) nicht enthalten.

Dem im Vorwort des Bandes formulierten Anspruch, wonach die Materialien eine „rasche[.] und unkomplizierte[.] Vorbereitung“ für den Einsatz im Unterricht ermöglichen sollen, wird der Titel durch das Fehlen von Lösungen und Tafelbildern somit nicht gerecht. Ebenso ist dem Vorwort zu entnehmen, dass die Materialien und Arbeitsblätter „vorrangig [für die] Sekundarstufe I, aber auch für die Oberstufe“ geeignet sein sollen. Da die Auswahl der neun hier berücksichtigten Computerspiele nicht konsequent kompetenzorientiert begründet wird, nur ein einziger Titel die Altersfreigabe USK 6 (Missile Command) aufweist, und ein Titel bis zum Jahr 2019 gar indiziert war (Wolfenstein 3D), ist eine Eignung zum Einsatz eher in der ausgehenden Mittelstufe und insbesondere in der Oberstufe ratsam. Dafür spricht auch die Gestaltung der Arbeitsblätter sowie die Verwendung von als anspruchsvoll für die unterrichtliche Praxis anzusehender Textauswahl (z.B. S. 15f. Auszüge von Karl Marx und Friedrich Engels über das Voranschreiten von Zeitaltern und über den Kapitalismus). Die Arbeitsblätter selbst sind plausibel nach sieben Schwerpunkten der Autoren (z.B. „Geschichtskultur“ oder „Geschichtsvorstellungen“) angeordnet, „unter denen sich Games im Geschichtsunterricht thematisieren lassen“ (S. 1). Dabei wäre es wünschenswert gewesen, wenn diese Schwerpunktsetzungen auch angebunden wären an domänenspezifische Kompetenzbereiche der geschichtsunterrichtlichen Praxis. Ebenso bleibt der Band eine arbeitsblattübergreifende thematische Progression schuldig. Folglich eignen sich die innovativen und grafisch ansprechend gestalteten Materialien mehr für den Einsatz in einer einzelnen Geschichtsstunde als in einer ganzen Unterrichtseinheit zum Thema digitale Spiele.

Leider wird auch der zur Verfügung stehende Druckbereich im weiterführenden Literaturverzeichnis nicht vollumfänglich genutzt (S. 24). Gerade hier wären Verweise auf neuere Publikationen, die auch historisierende digitale Spiele geschichtsunterrichtlich nutzbar machen, ein großer Gewinn für die unterrichtenden Lehrerinnen und Lehrer gewesen.6

Besonders lobenswert ist, dass die Autoren in ihren methodisch-didaktischen Überlegungen neben dem Spielen vor oder im Unterricht auch den Einsatz mittels videografierter Spielsequenzen als „Let’s Play“ erwähnen (S. 1). Durch den Einsatz von „Let’s Plays“ im Unterricht entfällt die Suche nach bisweilen kostspieligen und zeitaufwendigen Lösungen, um historisierende digitale Spiele in den vorhandenen schulischen digitalen Infrastrukturen einsetzen zu können.

Für die geschichtsunterrichtliche Praxis und besonders für das historische Lernen über digitale Spiele stellt der Band innovative Unterrichtsmaterialien zum niederschwelligen Einsatz bereit.

Anmerkungen:
1 Der JIM-Studie aus dem Jahr 2020 nach spielen nur acht Prozent der 12- bis 19-Jährigen keine digitalen Spiele, wohingegen 68 Prozent regelmäßig digital spielen, https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf (14.10.2020).
2 Einen knappen Überblick über den Stand der rezenten Forschung bieten Eugen Pfister / Tobias Winnerling, Digitale Spiele und Geschichte. Ein kurzer Leitfaden für Student*innen, Forscher*innen und Geschichtsinteressierte, Glückstadt 2020, besonders S. 25–32; Jörg Friedrich / Carl Heinze / Daniel Milch, Digitale Spiele, in: Felix Hinz / Andreas Körber (Hrsg.), Geschichtskultur – Public History – Angewandte Geschichte, Göttingen 2020, S. 261–281; und Nico Nolden, Geschichte und Erinnerung in Computerspielen. Erinnerungskulturelle Wissenssysteme, Berlin 2019, S. 41–165.
3 Daniel Giere, Computerspiele – Medienbildung – historisches Lernen. Zu Repräsentation und Rezeption von Geschichte in digitalen Spielen (= Forum Historisches Lernen), Frankfurt am Main 2019.
4 Eine erfreuliche Ausnahme bildet das Schulbuchkapitel „Der Erste Weltkrieg im Computerspiel“ in der Ausgabe für Baden-Württemberg der Geschichtsschulbuchreihe Forum, Berlin 2018 für die Klasse 8, hier S. 150f.
5 Außerdem in der Reihe Geschichte unterrichten des Wochenschau Verlages Stephan Friedrich Mai / Alexander Preisinger, Digitale Spiele und historisches Lernen, Frankfurt am Main 2020.
6 So z.B. Daniel Milch, geb. Giere / Nico Nolden, Boston Harbor a Teapot Tonight! Analysemodell zur Darstellung von Geschichte im digitalen Spiel am Beispiel von Assassin’s Creed III, in: Geschichte lernen 194 (2020), S. 40–45.

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